Über ein Leben mit einem Hund - ein etwas anderer Beitrag

„Natürlich kann man ohne Hund leben - es lohnt sich nur nicht“, lautet ein Sprichwort, das von Heinz Rühmann stammen soll. Und im Nachhinein möchte ich tatsächlich behaupten, dass die bisherigen Jahre ohne Lotti nicht annähernd so erlebnisreich, so spannend und erfüllend waren wie die Jahre, seit sie bei uns lebt.
Zum ersten Mal sind wir uns in Leipzig begegnet. Etwas ungelenk schälte sie sich als pummeliger Welpe aus der wimmelnden Schar der älteren Hunde heraus und kletterte auf meinen Schoß. Trotz ihrer zwölf Wochen wusste sie offenbar genau, wie sie es anstellen musste, damit ich meine Aufmerksamkeit auf sie richtete. Wahrscheinlich hatte sie sich dieses zielgerichtete Zugehen auf fremde Personen bei ihren acht Wurfgeschwistern abgeschaut, die bereits von ihren Familien abgeholt worden waren. Sie war der letzte Welpe und dachte sich wohl, dass sie nun auch endlich Besitz von einem Menschen ergreifen müsste, um von den Erwachsenen (ihren Eltern und Tanten) loszukommen.Ihr warmer Körper und ihr weiches Fell fühlten sich sofort vertraut an. Es war das erste Mal, dass ich einen Welpen auf dem Arm hatte. Meine Eltern waren immer dagegen gewesen, einen Hund aufzunehmen. Und auch in der Nachbarschaft gab es nur wenige Hunde. Katzen, Kaninchen und Meerschweinchen, ja, die gab es. Aber mit Hunden hatten wir wenig Kontakt. Hunde waren in den achtziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts einfach nicht in. Zumindest nicht bei uns im Dorf.
Schade, dachte ich, als sich das Fellknäuel konzentriert auf meinem Schoß ein Schlaflager einrichtete, dass wir dieses Erlebnis nicht schon früher erleben durften.Während bei mir bereits die Muttergefühle gesiegt hatten und mein Herz sich für das kleine Mädchen auf meinem Schoß entschieden hatte, ließ sich mein Mann von den schwarzen, kleinen Kulleraugen überzeugen, die ihn, vor Müdigkeit fast zufallend, fragend anschauten. Sie wollte mit, daran bestand kein Zweifel. Und so kam es auch. Sie fand bei uns ihr neues Zuhause und hieß von da an „Lotti“.

Lotti entwickelte sich in den kommenden Wochen und Monaten prächtig. Da weder mein Mann noch ich sehr viel Hundeerfahrung hatten, schoben wir ein zentrales Thema immer wieder auf: das „Allein-bleiben-üben“. Immer dachten wir: „Sie ist ja noch so klein, ein Baby“, „Später ist auch noch Zeit zum Üben“. In der Arbeitswelt gibt es sogar ein Wort dafür: Prokrastination. Die Neigung, Dinge aufzuschieben. In der Neu-Hundehaltererziehungswelt ist es mittlerweile ein ebenfalls gängiger Begriff. Das Aufschieben eines solchen Themas fällt aber nicht schwer: Denn auch wenn Lotti nicht sprechen kann –von ihren Augen, an ihrem Verhalten kann man Vieles ablesen. „Nimmst du mich etwa nicht mit?“ gehört zu ihrem Standardrepertoire. Sie stellt diese Frage, wenn sie sieht, dass wir unsere Schuhe und Jacken anziehen und sie selbst (noch) nicht „angezogen“ ist (anziehen heißt bei ihr, das Halsband umzulegen, und wird normalerweise (Hunde sind Gewohnheitstiere) gemacht, bevor Herrchen und Frauchen sich anziehen):
Zuerst läuft sie aufgeregt zwischen uns und unseren Beinen umher, um unmittelbar Aufmerksamkeit zu erfahren. Ihre Muskeln sind zwar unter dem langen, zerzausten Fell kaum sichtbar, aber ihre Körperhaltung, ihr durchgedrückter Rücken und ihre zur Decke gestreckte Rute verraten ihre Anspannung. Schließlich, abrupt, setzt sie sich. Gaaanz langsam. Dadurch verleiht sie ihrer Ungläubigkeit noch mehr Ausdruck. Was? Ich soll alleine hier bleiben? Ihre schwarzen Augen werden noch schwärzer, während sie angestrengt zusammengekniffen werden, ihre Ohren, die normalerweise eng und schlapp an ihrem Köpfchen anliegen, richten sich wie Lauschsatelliten von Geheimdiensten in unsere Richtung. Nicht euer Ernst, oder? Nein, antworte ich in Gedanken und nehme ihr mit Strass besetztes Halsband von dem roten Plastikpops des halben Hundes von Ikea, der dazu gedacht ist, Leine, Halsband, Regenmantel und Kotbeutel unseres vollständigen Hundemonsters zu halten.
Wie schnell sich ein Raum, der gerade noch von Skepsis, Ungläubigkeit und Stille beherrscht war, plötzlich in einen Raum voll ausgelassener Freude verwandeln kann, zeigt jetzt Lotti. Plötzlich springt das zuvor noch angespannte Fellknäuel, einem Gummiball nacheifernd, in die Höhe, zwei-, dreimal, um sich schließlich wie eine Ballerina im Kreis zu drehen. Dabei ist sie immer so stürmisch, dass sie mit dem Kopf manchmal gegen die Stuhl- oder Tischbeine stößt. In solchen Momenten bin ich immer froh, einen Hund zu haben, der zu groß ist, um auf ihn zu treten, aber zu klein, um Dinge, die auf Tischen oder Ablagen liegen, in solch euphorischen Momenten der Freude abzuräumen.
Anschließend kommt sie – ohne Drehwurm – auf mich zu und lässt sich mit einem zufriedenen Blick ihr Halsband umlegen. So ist sie, unsere Lotti.
Episoden wie diese gibt und gab es viele in unserem gemeinsamen Leben. Wir haben Höhen und Tiefen erlebt, mussten erst einmal lernen, wie Hund und Mensch zusammenleben können, ohne sich gegenseitig auf die Nerven zu gehen. Die Erinnerungen daran, an unsere Vergangenheit, unterstreichen die Worte Heinz Rühmanns, dass sich ein Leben ohne Hund nicht lohne. Ohne Lotti wäre unser Leben wahrscheinlich vor allem durch Materialismus bestimmt gewesen. Durch sie hingegen hat es eine Richtung eingeschlagen, die sich durch Freude und Vitalität auszeichnet.